„Alle sollen besser leben“ hieß eine „Wirtschaftswunder-Ausstellung“ 1953 in Düsseldorf. Dahinter stand das Credo, das könnte erreicht werden, wenn alle Betriebe so rationalisierten, wie es das RKW empfahl. Schon bei der RKW-Gründung 1921 war das Ziel die „Steigerung des Volkswohlstands durch Verbilligung, Vermehrung und Verbesserung der Güter“. Verwirklichen wollten die Rationalisierungs-Apologeten des RKW ihre Vision durch Typenbeschränkung, Normierung, Taylorismus, Fließbandarbeit und Massenproduktion – mit den Methoden also, mit denen Henry Ford erfolgreich und zu ihrem Idol wurde. Doch im Deutschland der Weimarer Republik waren die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Massenprodukte nicht gegeben, die Vision scheiterte.

Nach dem Krieg kam sie zurück, erneut mit starker Orientierung an den USA. Das 1950 wiedergegründete RKW wurde Sprachrohr für amerikanische Methoden. Im Produktivitätsprogramm, das die wirtschaftliche Hilfe des Marshallplans flankierte, warb es mit Filmen, Texten und Broschüren für Rationalisierung. Oder mit Ausstellungen wie der von 1953, die in vier Wochen unglaubliche 1.358.000 Menschen besuchten. Und jetzt wurde die Vision „Steigerung des Volkswohlstands“ rasch Wirklichkeit. Die Produktion wuchs und die Löhne stiegen. Der VW-Käfer lief millionenfach vom Band, Kühlschränke und Fernsehgeräte hielten Einzug in die Haushalte. Dank der unermüdlichen Aufklärungsarbeit des RKW habe „Deutschland auf dem Gebiet der Rationalisierung ganz ungewöhnliche Fortschritte gemacht“, resümierte Geschäftsführer Heinz Lübeck 1958.

Automatisierung und KI: Versprechen für eine rationalisierte Zukunft?

Unerschütterlich war der Glaube an den technischen Fortschritt − nicht nur im RKW –beispielsweise an verheißungsvolle Verfahren wie Automatisierung und Computerisierung. Schienen sie doch die Wirklichkeit werden zu lassen, was der englische Staatsmann und Autor Thomas Morus 1517 in seinem bekanntesten Werk beschrieb: Die Bewohner seiner erfundenen Insel  Utopia arbeiten sechs Stunden am Tag, „ohne sich wie ein Lasttier abzumühen“. Zwar prognostizierte IBM-Chairman Thomas Watson 1943 nur einen Bedarf von fünf Computern für die Welt, aber das bremste keinen Visionär. Das RKW veröffentlichte einen Artikel aus der New York Times vom April 1950 in dem es hieß, die Fortschritte in der amerikanischen Technik machten es möglich, dass innerhalb eines Jahrzehnts die menschliche Arbeitskraft am Montageband durch eine von einem „Elektronen-Gehirn“ gelenkte Maschinenanlage ausgeschaltet werden könne. 1954 veranstaltete das RKW die erste Tagung zur Automatisierung und war überzeugt, dass „wir schon im automatischen Zeitalter“ leben. 1957 folgte die nächste Automatisierungstagung und die Bundesrepublik litt gleichzeitig unter Arbeitskräftemangel, rief Gastarbeiter ins Land. Trotzdem gab es Ängste von „technologischer Arbeitslosigkeit“. Eine RKW-Studie Anfang der 60er Jahre bewies, dass automatisierte Produktion keine Arbeitsplätze kostete.

Unter dem Stichwort „Kybernetik“ befasste sich das RKW in den 1970er Jahren mit der Rolle des Menschen in einer automatisierten Produktion – das Regierungsprogramm „Humanisierung der Arbeit“ war eine andere Antwort. Aber auch die „Mensch-Maschine-Symbiose im 21. Jahrhundert“ war Gegenstand des Aufgabengebiets. Endziel der Kybernetik sei die „Erschaffung der künstlichen Intelligenz“. Im Geschäftsbericht 1970/71 zitiert das RKW Professor Charles Helvey, nach dem eine „Maschinerie mit Selbstorganisation, Selbstausbesserung, Selbst-Erzeugung, und die Computer-Technologie, automatische, optimale und lernende Kontrollsysteme usw. … wichtige Schritte und Merkmale auf dem Weg zur KI [sind], die vielfach die menschliche Kapazität übertreffen wird.“

Immer mehr und immer billiger – Rationalisierung ohne Grenzen?

Gleichwohl wuchs mit der Ölkrise 1973 die Skepsis gegenüber neuen Technologien. Auch beim RKW gab es mehrere große Projekte, die die Folgen der technisch-organisatorischen Veränderungen, beispielsweise durch den Einsatz von Mikroprozessoren im Werkzeugmaschinenbau, analysierten. Die hohe Arbeitslosigkeit schien zu nun doch zu bestätigen, dass Automatisierung Arbeitsplatze „wegrationalisierte“. Auf die Strukturveränderungen hatte das RKW lange keine schlüssigen Antworten, blieb auf den produzierenden Mittelstand fixiert. Die Vorschläge zur „menschengerechten Rationalisierung“ begrenzten sich auf Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Vision der Rationalisierung stieß erneut an ihre Grenzen.

Und lebte doch weiter in den Köpfen: Wachstum blieb das Credo der Wirtschaftspolitik und im RKW. 2002 hieß es im Leitbild „Wir fördern Rationalisierung und Innovation, um Wachstum und sichere Arbeitsplätze zu erreichen.“

Pandemie, Hitzesommer und Klimawandel zeigen uns einmal mehr die Grenzen der Vision. Nach einem Corona-Ausbruch in Schlachthöfen diskutierten wir im Frühjahr 2020 über den Wert und Preis von Fleisch und erfuhren in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (28.06.2020): 22 Minuten Arbeit reichen, um sich ein Kilo Schweinekotelett leisten zu können. Die Kosten für die Menschen, die in der Fleischfabrik im Akkord unter schlechten Bedingungen und geringem Lohn das Kotelett herstellen, ganz zu schweigen vom Tierwohl – das hatten die Visionäre des „Billiger und Mehr“ sicher nicht auf dem Schirm. Der Klimawandel ist auch eine Folge des ungebremsten Wirtschaftswachstums auf Kosten von Natur und Umwelt, die vor allem die bezahlen müssen, an denen der Wohlstand für alle bisher vorbeigegangen ist.

Und wie nachhaltig ist die nächste Vision, KI? KI ist für uns heute schon Alltag, beim Googeln, beim Navigieren, sie wird in Forschung, Medizin und Produktion eingesetzt und bringt uns näher an Morus‘ Utopie, mit weniger Arbeit und mehr Zeit für Kreativität und Bildung, für die Familie und Freunde. Zum 100. Geburtstag des RKW stellt sich nun die Frage, ob die Vision von Rationalisierung fortgeschrieben werden muss. Bleibt es beim „Weiter, höher, schneller“? Und ist dies die Vision, wenn KI „mitspielt“?

Der Text ist eine überarbeitet Version des Leitartikels im RKW-Magazin 3/2020 "Utopia"

Literatur

Freyberg, T. (1989): Industrielle Rationalisierung in der Weimarer Republik, Frankfurt: Campus

Morus, T. (1517): Utopia

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